Die Gnocchis des Herbstes oder Antwort auf einige mich betreffende Fragen
Translated by Eugen Helmlé
in: Geboren 1936, p. 55 – 62
Auf der anderen Seite der Straße sind drei Tauben lange reglos auf dem Dachgesims sitzen geblieben. Über ihnen, zur Rechten, raucht ein Schornstein; verfrorene Spatzen sitzen hoch oben auf den Regenrinnen. Unten auf der Straße herrscht Lärm.
Montag. Neun Uhr morgens. Ich schreibe schon seit zwei Stunden an diesem Text, den ich seit langem versprochen habe.
Die erste Frage ist sicherlich die folgende: warum habe ich bis zum letzten Augenblick gewartet? Die zweite: warum dieser Titel, warum dieser Anfang? Die dritte: warum fange ich damit an, dass ich diese Fragen stelle?
Was ist eigentlich so schwierig? Warum fange ich mit einem Wortspiel an, das so hermetisch ist, dass nur eine kleine Anzahl meiner Freunde darüber lächeln muss? Warum fahre ich mit einer Beschreibung fort, die so gespielt neutral ist, dass jeder versteht, dass ich nur deshalb so früh aufgestanden bin, weil ich sehr im Rückstand war, und weil es mir peinlich ist, dass ich im Rückstand bin, während doch ganz klar ist, dass ich nur deshalb im Rückstand bin, weil mir gerade der Grund für die wenigen nun folgenden Seiten peinlich ist. Es ist mir peinlich. Ich bin gehemmt. Die gute Frage ist die: warum ist es mir peinlich? Warum ist es mir peinlich, dass es mir peinlich ist? Werde ich mich dafür rechtfertigen müssen, dass es mir peinlich ist? Oder ist es mir peinlich, dass ich mich rechtfertigen muss?
Das kann lange dauern. Es gehört zum Wesen des Schriftstellers, dass er sein Sein erörtert, dass er sich im Sumpf seiner Widersprüche verfängt: hellsichtig und verzweifelt, einsam und solidarisch, Schönredner seines schlechten Gewissens usw. Das dauert nun schon eine ganze Reihe von Jahren, und allmählich reicht es. Im Grunde habe ich das nie sehr interessant gefunden. Es ist nicht meine Aufgabe, einen Prozess gegen die Intellektuellen einzuleiten, ich werde nicht in den Wirrwarr des L’art pour l’art oder des Engagements zurückfallen …
Mein Problem ist es eher, ich will nicht sagen, zur Wahrheit zu finden (warum sollte ich sie auch besser kennen als sonst irgendjemand, und mit welchem Recht sollte ich folglich das Wort ergreifen?), ich sage auch nicht zur Gültigkeit (das ist ein Problem zwischen den Wörtern und mir), sondern eher zur Wahrhaftigkeit, zur Aufrichtigkeit. Das ist keine Frage der Moral, sondern eine Frage der Zweckmäßigkeit. Es ist sicherlich nicht die einzige Frage, die ich mir stelle, aber es ist, wie mir scheint, die einzige, die sich beinahe ununterbrochen als die für mich entscheidende erweist....
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was a French writer and film maker of the post-war era. As a Polish Jew growing up during the Second World War he was lucky to survive, having been admitted to a children’s camp just before his mother was deported to Auschwitz. On his return to Paris in 1945 he went on to study history and sociology. After quitting university without graduating, he contributed a number of articles to »Nouvelle Revue française« and »Les Lettres Nouvelles«. He was called up for military service in 1958 and served to become a paratrooper in Pau for two years before finding employment as registrar at Saint-Antoine hospital. He became an active member of »L' Ouvroir de Littérature Potentielle« (Oulipo) in 1967 and became renown as a writer and film producer until his early death at the age of 45.