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Wolf Kittler: Dead Beat Father
Dead Beat Father
(p. 161 – 175)

Zu Kafkas Roman Der Verschollene

Wolf Kittler

Dead Beat Father
Zu Kafkas Roman Der Verschollene

PDF, 15 pages

In seiner detaillierten synoptischen Lektüre des Roman-Erstlings (Der Verschollene) mit den Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Kaisertum Österreich hinsichtlich des Rechtsverhältnisses zwischen unehelichen Eltern und Kindern weist Wolf Kittler nach, dass nicht nur das Sujet und einzelne Szenen des Romans, sondern dessen gesamte narrative Bewegung ganz wesentlich von der in diesen gesetzlichen Bestimmungen geregelten Differenz zwischen dem Akt der Zeugung und dem Status der Vaterschaft gesteuert wird – dass also Kafkas Roman aus einer vom Autor kalkulierten Transformation der (in ihrer konkreten Wörtlichkeit als Rechtsdokument verstandenen) Gesetze des Landes in das Gesetz seines Schreibens hervorgebracht wird. Auch Kafkas Schreiben folgt demnach der chiastischen (auf das Schreiben wie auf das Leben bezogenen) Verschränkung von Philologie und Genealogie, die Thüring bei Nietzsche als erkenntnismethodische Grundfigur ausmacht.

  • Franz Kafka
  • Nietzsche
  • discourse history
  • Modernism
  • literary studies

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Friedrich Balke (ed.), Joseph Vogl (ed.), ...: Für Alle und Keinen

Es gibt kaum zwei andere Autoren der deutschsprachigen Moderne, bei denen das Verhältnis von Sprache und Leben so intensiv verhandelt wird wie bei Friedrich Nietzsche und Franz Kafka. Für Nietzsche, den »gefährlichen Denker« und das »Dynamit« der christlich-abendländischen Werteordnung, wie für Kafka, den »Dichter der Angst« und Experten für Arbeiter-Unfallversicherung, bilden die biopolitischen Dispositive des heraufkommenden Wohlfahrtsstaates und die Verschiebungen, die der Historismus für die Ökonomie des Wissens und die Massenpresse für die Ökonomie der Rede bedeuten, eng aufeinander bezogene Faktoren des Problemgefüges, das ihre Schreibprojekte hervortreibt. Für beide stellt der Doppelcharakter sprachlicher Überlieferung – als Sicherung des kollektiven Lebens und als Unterwerfung des individuellen – eine zentrale schriftstellerische Herausforderung dar, und beide begreifen die daraus resultierende Riskanz einer radikalen Umschrift der durch Lektüre angeeigneten Tradition als ethisches Problem.

Der Band zielt darauf ab, die beiden Antworten auf jene Herausforderung vor ihrem jeweiligen biographischen und zeitgeschichtlichen Hintergrund gegeneinander zu kontrastieren und sie zugleich als – bis heute gültige – paradigmatische »Haltungen« im diskursiven Feld der Moderne sichtbar werden zu lassen. Indem der Band den »dialogischen« Bezug Kafkas auf Nietzsche auf der Folie diskursiver und medialer Ereignisse und Konstellationen der Zeit motiviert und spezifiziert, lässt er ihn zugleich als vielstimmigen »Polylog« oder sogar unlesbaren »Babellog« quer durch die Kultur und die Wissensfelder des anbrechenden »kurzen 20. Jahrhunderts« (1914–1989) erscheinen.